Peripherie
Lokale Identitäten und räumliche Orientierung an der Grenze
Peripherie definiert sich räumlich zunächst über das Verhältnis von Mitte und Rand; der Begriff geht davon aus, was als Zentrum zu gelten hat und dem, wo es keineswegs ist. Peripher ist das Entfernte, das weit Entfernte, das fast nicht mehr Angehörige. Dort nah sind Grenze und grenzüberschreitende Benachbarungen. In kulturellen Wertzumessungen gilt an der Peripherie das "flache Land" als besonders flach und die — vom Zentrum aus gesehene — Distanz gerät gesellschaftlich zur Distanzierung, gar zur mild vorgetragenen Deklassierung durch ein Wort wie "provinziell". Peripherie, wohin nicht einmal ein blue suburban sky reicht, gehört kaum zu den romantischen Sehnsuchtslandschaften einer auf Städtischkeit zentrierten Gesellschaft. An die Peripherie will im Grunde genommen niemand auf Dauer.
Und die, die dort sind — dort, am Rand vom Land? In Seiferts und Fladungen, Bad Karlshafen, Züntersbach, Hesseneck, Rosengarten und in Wallau.
Es sind Orte in der Peripherie des höchst zufällig definierten Bundeslandes Hessen. Sie — aber auch, gedacht als kontrastiver Forschungszugang, eine Stadt wie Viernheim oder Hessens Landeshauptstadt Wiesbaden waren Gegenstand einer ethnografischen Feldforschung.
Und nicht nur sie; die Recherche erstreckte sich auch auf die auf einer je anderen Seite in Frankenheim und Birx (Thüringen); Bad Brückenau (Bayern); Würgassen (Nordhein-Westfalen); Friedrichsdorf (Baden-Württemberg); Worms (Rheinland-Pfalz) und Bad Laasphe (Nordrhein-Westfalen). Ferner in Weinheim und Mannheim (Baden-Württemberg) sowie Mainz (Rheinland-Pfalz).
Und diesen Fragen spürten die 12 Feldforscher nach:
- Wie wirkt eine periphere Lage auf Lebenswelt und Raumgefühl von Menschen?
- Was bedeutet die nahe Grenze für kollektive Eigenlogik und individuelle Identitätsprozesse?
- Oder sind interne — soziale, kulturelle, geografische — Abgrenzungen auf der "eigenen Seite" viel bedeutsamer für die Alltagspraxis?
- Ist "provinziell" noch ein Stigma?
Inhalt:
- H. Schilling: Eine Welt von Grenzen. Nachbarschaften und Identitäten in der hessischen Peripherie
- H.J. Krämer: Wer oben lebt, kann weiter sehen Über administrative, gedachte und natürliche Grenzen in 64754 Hesseneck
- P. Klös: Fremde bleiben. Wirte und die Welt diesseits und jenseits der Theke
- M. Burbaum: Den Berg hinauf und hinters Moor Lebensweltliche Distanz und räumliche Distanzen in Seiferts, Birx, Frankenheim und Fladungen
- K. Bonneterre, D. Tews: Drei Peripherien und eine geplante Mitte Regional- und Identitätskonstruktionen in der hessischen, bayerischen und thüringischen Rhön
- C. Schaminet: Grenzreporter Die dreigeteilte Medienlandschaft Rhön und die Liebe zur eigenen Seite
- S. Bisgaard: Am Ende einer Reise. Probleme lokaler Identitätsfindung in Bad Karlshafen
- S. Scholz: Leben mit dem Grenzwert. Das Ende des Kernkraftwerks Würgassen im Dreiländereck Nordrhein-Westfalen : Hessen : Niedersachsen
- H. Döring-Böckler, J. Kuzabaviciute: Hinterland. Lokale Behauptung und religiöser Separatismus in Wallau bei Biedenkopf
- J. Zöller: Umgeben von drei Bundesländern. Ortsbewußtsein und regionale Orientierung in Viernheim
- G. Ziegler: Da ist doch der Rhein dazwischen. Die Nachbarschaft der ungleichen Landeshauptstädte Wiesbaden und Mainz
- Wo kommen wir da hin? Straßen an Hessens Grenze. Ein Radiofeature von H. Schilling und P. Klös