Urbane Zeiten
Lebensstilentwürfe und Kulturwandel in der Stadtregion Frankfurt
res non est.
Lars Gustafsson
Das anthropologische Interesse am Thema Stadt spannt sich zwischen Stadt als Lebenswelt des Alltags einerseits und Urbanität als Konzept andererseits. Darüber — darüber hinweg — eine Feldforschung zu machen kommt nicht darum herum, die Begriffe beim Wort zu nehmen; ein Brückenschlag zwischen theoretischem Konzept und der Praxis der Alltagswelt scheint kaum möglich. Und doch wird in diesem Projekt der Versuch dazu gemacht — mittels der autobiografischen Beschreibung.
Die Vergewisserung der eigenen Lebensgeschichte der durchaus noch jungen Forscher, die Reflektion ihres Wegs vom Land in die Stadt, der Wege in der Stadt und — bei einigen durchaus — der Scheu vor der Stadt bietet eine Möglichkeit zu schlüssigen Bildern, mit denen man lebt. Kaum eine der von mir angeregten Untersuchungen hat ihre Frage so direkt (und quälend) auf die Studierenden geworfen. Einige nutzten die Semester zur Klärung des eigenen Standorts, beispielsweise auch als Chance, mit einem theoretisch-politischen Abschlußtext einen eigenen Platz im urban-intellektuellen Milieu der Großstadt Frankfurt zu reklamieren.
Der eine oder andere der jungen Feldforscher dieses Projekts (1986 bis 1989) mag sich vorgekommen sein wie ein Charly Chaplin im Räderwerk der Modern Times, dieser Ikone des urban-industriellen Zeitalters — diesmal allerdings in den unsynchronisierten urbanen Zeiten in der Stadtregion Frankfurt.
Die Ausgangsthese des Forschungsprojekts hieß: Urbanität gilt als kulturelles Muster für den Wandlungsprozeß unserer Gesellschaft. Nicht nur in den Städten.
Die zwölf Texte dieses Bandes spiegeln die persönlichen Erfahrungs- und Reflektionsprozesse wider: Die Frage, was Urbanität bedeutet und was sie bedeuten kann und auf welche Weise und welchen Wegen sie aufs "Land" wirkt. Die Beiträge beschäftigen sich nicht zufällig mit der Funktionalität von Vorstellungsbildern wie städtisch und Städtischkeit, urban und Urbanität: Es geht darum, wie diese Begriffe eingesetzt werden und welche Vorstellungen ihnen zugrunde liegen, wer sie prägt und wer an sie glaubt, was sie leisten und wie und warum sie verändert werden. Nicht die Bedeutung der Urbanität, sondern die Urbanität der Bedeutungen ist also Gegenstand des Buches über die Epoche, die inzwischen einmündete in eine sich überschlagende Metropolitanisierung städtischer Kerne und die sie umgebende kulturelle Vervorstädterung des Zwischenraums.
Autoren und Themen:
- Klaus Ronneberger schreibt über den "Pflasterstrand" als Medium einer in die metropolitane Elite aufsteigenden Frankfurter Subkultur
- Irmelin Demischs Aufsatz heißt W/Orte — T/Räume; darin beschreibt sie Heimaten seit Achtundsechzig
- Elisabeth Mohn analysiert eine Videoarbeit zum Umgang mit dem öffentlichen Raum der Stadt
- Doris Hirschmann und Pamela Passano kommentieren die gastronomische Modernisierung der Stadt unter dem Titel Über die neue Frankfurter Küche
- Martin Schwoerer recherchierte zum Thema Städtischkeit bei Partnersuchenden und der Persistenz "ländlicher" Zweisamkeitsentwürfe
- Reiner Krausz schreibt über ästhetische Szenarien von Urbanität zur Imagination des Städtischen
- Marcus Heides sieht im Regionalprodukt "Rhein-Main-Zeitung" der FAZ einen intentionalen Motor und Promotor des Städtischen
- Ulla Langer, Monika Rohweder und Ralf Walther beschreiben am Beispiel Neu-Anspach das Wohnen zwischen Stadt und Land, die vorausgehende Planung und die kulturellen Folgen
- Die Geographen Horst Blaschko und Beatrice Dick widmen sich dem professionellen Verhältnis von Planern zum (problematischen) Entwurfsobjekt "Urbanität"
- Heinz Schilling untersucht empirisch die Bedeutung des Städtischen bei Bürgermeistern und Architekten in der Rhein-Main-Region und stößt auf den schönen Begriff der "kleinstädtischen Urbanität"
- Christoph Kempa und Jutta Weber portraitieren vier Landfrauen