Dr. Heinz Schilling • Professor für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main

|Vorträge|



Heinz Schilling:
Schmutzige Wäsche




Zur Eröffnung der Ausstellung Fotografie & Schmuck

Andrea Güthge, Fotos | Martina Tornow, Schmuck

Ausstellungsort: Waschwerk Hanau 2011

Ein Druck auf den Knopf. Wasser zischt, Wasser strömt. Klick. Ein Motor. Klack. Hinter der pizzagroßen Scheibe wird's ruckartig lebendig. Rumpelpumpel. Halbe Drehung rechts. Halbe Drehung links. Man hört, wie im Inneren des weißen Zyklopen ein Triebwerk treibt, wie Pumpen pumpen, man weiß, daß Heizschlangen heizen und vertraut darauf, daß ein Gedärm aus Schläuchen auch diesmal ordentlich seinen Dienst verrichtet, klares Wasser zuführt, Schmutzwasser abführt. Und dass das Flusensieb siebt.

Teil eines Systems namens Oikos — wörtlich meint Oikos das ganze Haus. Und Teil eines kulturellen Systems namens Sauberkeit.

Und du erkennst schemenhaft die Bewegung jenseits der topfartigen gläsernen Tür von Constructa Miele Siemens AEG. 12 Umdrehungen mit, platsch, 12 gegen den Uhrzeiger. Nasse Wäschestücke werden bewegt, klatschen an das Glas. Irgendwas baut sich auf, sammelt sich, kurz vorm Scheitelpunkt des Loopings fällt das Gebilde in sich zusammen, stürzt ab mitsamt dem Knäuel, taucht in die Brühe ein.

Linksrum, rechtsrum. Anläufe und Abstürze, Umschlingungen und Verknäuelungen von Socken und Tüchern und den Sachen, die die Woche über zur Wäsche gekommen waren. "Zur Wäsche kommen" klingt wie "Zur Sache kommen". Das Ziel heißt Sauberkeit.

Und da taucht der Zipfel vom Rotkarierten im 60-Grad-Paternoster wieder auf, patscht verschäumt an das Bullauge und ist weg.

70 Minuten bis zum letzten Taumel im Schleudergang. Ein Klick, ein Röcheln der Maschine in Richtung Kanal, ein letztes Klack und — Stille. Siebenmal Pieps als Schlusssignal.

Du lupfst das verriegelte Glasauge des weißen Zyklopen, zupfst am T-Shirt und ... ziehst diesen ganzen Wäscheklumpen mit raus. Alles wieder sauber, schnupperst du und denkst: Ist auch alles wirklich rein?

Die alte Klementinen-Frage — Sauber ja, aber auch rein? — sitzt als Zweifel in deinem deutschen Unterbewusstsein. Trotz Ariel im Hauptwaschgang.

Ohne Mitnehmer geht es nicht. Rührwerke in Küchenmaschinen und — jetzt mit Männerblick — die Beschaufelung im Betonmischer funktionieren ähnlich. Ohne Mitnehmer wäre die Wäsche nur eingeweicht, die Lochtrommel würde rotieren, aber das Wasser "stehen" lassen; Hinundhergeruckel allein bringt nichts, drei innere Trommelrippen aber binden die Wäsche ein Stück weit in die Rotation ein, nehmen sie mit, bis dann die Schwerkraft wirkt und Wäscheteile runterplumpsen. Wirkung durch Unterbrechung.

Es ist das Prinzip von Bewegung plus Pause. Jede Uhr etwa würde — das ist der Job ihrer federnden Unruhe — rastlos durchmarschieren, wäre da nicht das kleine Zackenrädchen namens Hemmung, das mechanisch immer wieder einen Stop des fortwährenden Rundlaufs der Zeiger bewirkt, was sich uns als das Ticken im Sekundentakt mitteilt. Die Uhr geht also, weil sie temporär nicht geht.

Kurz ein geschichtlicher Abstecher zu Klementine und in eine Zeit, in der — es liegt gut 50 Jahre zurück — die ersten elektrischen Waschmaschinen Deutschland eroberten. Wir zuhause hatten eine AEG-Lavamat mit aufgesetzter Handmangel, an der erprobte ich meine Kraft als Zehnjähriger. "Persil 59" war das beste Persil aller Zeiten, Lenor brachte 1963 die Aprilfrische hinzu, Ariel zum Reinweichen kam 3 Jahre später und im wilden Jahr 68 erschien die Waschexpertin Klementine mit ihrem Käppi im Werbefernsehen. In all den Jahren wütete eine "Aktion saubere Leinwand" gegen die nackte Sünderin Hildegard Knef im Kino, und der Volkswartbund kämpfte gegen Mambo und Samba, das seien Tänze aus dem Bordell. Entnazifizierungen waren seit langem abgeschlossen, dass jemand kein Kriegsverbrecher sei wurde mit einem Dokument bestätigt, das umgangssprachlich "Persilschein" hieß. Und es scheint wohl nur seltsam, dass die klementinische Skepsis "Ist denn die Wäsche nicht nur sauber, sondern auch porentief rein?", daß dieser Appell an Reinlichkeit, Reinheit und Gewissenhaftigkeit, damals in einer Zeit ertönte, in der eine Nation anfing, ihr historisches Gewissen zu überprüfen, und zumindest ein Teil der noch jungen Bundesrepublik das, was bei den Auschwitzprozessen ab 1963 offenbar wurde, für nicht auswaschbar hielt.

Der größte Feind allerdings war immer noch der "Gilb", der das Weiß aus den Gardinen fraß.

Noch früher. Wie war das noch früher mit Wasser, Luft und Sonne?

Im Rhein-Main-Gebiet gibt es heute 27 Bleichstraßen; die Bleiche war das Gelände zum Trocknen der gewaschenen Wäsche auf einer Wiese, nahe einem öffentlichen Waschplatz, dieser wiederum nahe einem Wasserlauf. In Hanau etwa ist die Bleichstraße am Vinzenz-Krankenhaus einen Steinwurf von der Kinzig weg. In Mainz wurde an zwei Bächen außerhalb der Stadtmauer gewaschen, der Dreck ging in den Rhein, die Wäsche trocknete auf den Wiesen, und bis heute benennt die Straße namens "Große Bleiche" ein ganzes Viertel. Die Bleichstraße von Kilianstädten — letztes Beispiel — beginnt am Steinbach, wo er noch nicht verrohrt ist.

Naturräumliche Zusammenhänge von früher sind ja oft nicht mehr sichtbar. Soziale auch oft auch nicht mehr.

Auge im Auge mit dem weißen Zyklopen, das kann eine recht einsame Angelegenheit sein. Im Waschsalon oder im Keller mag es mal ein Schwätzchen mit anderen geben und das sein, was einst die Regel war: Waschen als Anlass zur Kommunikation. Die Gemeinschaftskultur indes hat sich gewandelt vom Waschen als öffentlicher Institution zur Privatsache. Dies ging einher mit Mechanisierung, Chemisierung und Automatisierung der Reinigung von Leib- und Haushaltswäsche. Der klassische Ort dafür war tatsächlich Bach- oder Flussufer, dort war man nie allein, und Waschen als Arbeit und Mühe hatte stets einen Neben- oder sogar Haupteffekt, nämlich das Reden miteinander, das Ventilieren von Neuigkeiten und das Mixen von Gerüchten. Waschen war das Ressort von Frauen, Mägden, Dienstmädchen; der Waschplatz war der Nukleus der lokalen Kommunikation abseits von Männern und sonstigen Obrigkeiten. Das am öffentlichen Waschtrog Verhandelte sprang schnell auf den Marktplatz über. Klatsch hat seinen Wortursprung tatsächlich im Aufklatschen nasser Wäsche auf steinernen Untergrund zum Lösen von Schmutz aus dem Gewebe. Klatschen wie ein Waschweib stimmt also wörtlich.

Spricht man aber von Klatsch und Tratsch, dann geht es um Klatsch als "Verständigung zwischen anwesenden Bekannten über abwesende Bekannte", wie es der Soziologe Jörg Bergmann so nett formuliert, der den Begriff der Klatsch-Triade geprägt hat: Das sind mindestens zwei Personen, die über eine dritte — nicht anwesende — reden, drastischer: sich das Maul verreißen. Stellen wir uns die eine vor, die nach getaner Arbeit (inklusive lustvoller Mittratscherei) sich nun von Waschplatz oder Bleiche mit dem Waschkorb auf den Heimweg macht: die ist das nächste Klatsch-Opfer.

Die traditionelle Gemeinschaftskultur, hatten wir gerade gesagt, habe sich gewandelt vom Waschen als öffentlicher Institution zur Privatsache. Ein Teil unserer Medienkultur heute ist allerdings dem Gegenteil gewidmet — dem Waschen schmutziger Wäsche in aller Öffentlichkeit, deren Ort nicht mehr bestimmbar ist. Über die Frage einer kathartischen, also "reinigenden" Wirkung des medial aufbereiteten "Emotionsrealismus" hat der Schweizer Psychiater und Psychologe Mario Gmür vor einigen Jahren eine interessante Kontroverse ausgelöst.

Apropos Oikos. In "Ökologie" etwa steckt dieses griechische Wort, das ursprünglich das ganze Hauswesen als eine Art Regelkreis meint. Was ist ein Haushalt? Haushalt ist, wenn in einer Wohnung ein Herd steht, auf dem Essen gekocht werden kann — egal was und für wie viele. So die klassisch-amtliche Definition bei der Volkszählung.

Man kann einen Haushalt — als Ort des Beziehungsalltags — aber auch über die Waschmaschine definieren, so wie es der Franzose Jean-Claude Kaufmann tut, der über die Kultur des Zusammenlebens forscht. Für ihn ist in Zeiten von Fastfood und Pizzaservice nicht mehr der Herd entscheidend, sondern: Ein Paar lebt dann tatsächlich zusammen, wenn man zum ersten Mal die gemeinsame Waschmaschine füllt. Ein irgendwie schon intimer Akt. Eine Studie Kaufmanns La trame conjugale. Analyse du couple par son linge klingt etwas sperrig, der deutsche Titel lautet: "Schmutzige Wäsche. Zur ehelichen Konstruktion von Alltag". "Kultur" meint hier die materielle Basis der eigenen vier Wände — die Einrichtung. Keine Hardware ohne Software, das sind bei Kaufmann die Ordnungen und Bedeutungen, die sich darüber aufbauen.

Knatsch lösen abgeleckte Messer und zerquetschte Zahnpastatuben aus, dreckiges Geschirr, unsortierte Wäschehaufen, liegengebliebene Socken, ungebügelte Boxershort und der ewig fehlende Knopf am Lieblingshemd. Petitessen werden ab irgendwann prinzipiell diskutiert, die Störung einer vereinbarten Ordnung wächst aus zum Infragestellen des Gemeinsamkeitsprinzips und schließlich zum Angriff auf das Selbstverständliche in Sachen Sauberkeit und Hygiene.

Und das sind dann persönliche Fassungen eines großen gesellschaftlichen Rituals contra Schmutz, pro Reinheit.

Herumfliegende Socken und liegengelassene Slips, also Wäsche im wörtlichen Sinn, kann Anlass sein zum sprichwörtlichen Waschen schmutziger Wäsche, wenn dann ausgepackt und aufgerechnet wird:

Ja, und übrigens, wie war das denn damals...

Warst nicht du das, die immer...

Und schon deine Mutter hat...

Laver son linge sale en famille meint, dass wenn die Fetzen fliegen, das unter vier Augen passiert; laver en public besagt hingegen, dass man sich vor allen Leuten fetzt — ausgehend etwa von dem Immer-noch-Fleck auf dem Tischtuch. Die Gäste verstummen nach und nach und wissen nicht, wo sie hinsehen sollen.

"Ab und zu muß schmutzige Wäche gewaschen werden", meint Kaufmann, das nutze einer Paarbeziehung. Ein guter Streit könne manchmal sogar echte Wunder bewirken. Aber es sollte besser "en famille" passieren und nicht "en public".

Der Forscher, in Kenntnis vieler Konfliktgeschichten und ihrer Ursachen sagt auch: "Man ist Kind seiner Familie und wird zum Partner in einer anderen Familie. Und an beiden Orten ist man nicht die gleiche Persönlichkeit."

Ich denke auch, dass die habituellen Mitbringsel in einer Paarbeziehung ganz wichtig sind: die Unterschiedlichkeit von Rollenbildern und Ordnungsvorstellungen, wie etwas ist und wie etwas zu sein hat und wie Probleme gelöst werden und von wem, und dass derlei Prägungen Unterfutter, Beifaden, Basso continuo des Alltagsverhaltens sind.

Ein einfaches Durchwaschen im Konfliktfall stellt Waffenruhe her, doch ein Paar müsste sich auch als unterschiedlich geprägte Persönlichkeiten akzeptieren, die Motive hinter den Motiven offenlegen und die gemeinsame Geschichte der Missverständnisse, der gegenseitigen Verletzungen und Kränkungen erst einmal als Konfliktknäuel anerkennen und — so mühsam das sein mag — das, was sich oft über lange Zeit hinweg aufgeschaukelt hat, sehen als gemeinsames Produkt aus Rechthaberei, Stolz und Starrsinn, woran die schnellen Klärungen um des lieben Friedens willen letztlich nichts ändern.

Wir sind — richtig — wieder beim Bild des Knotens.

Den Knoten zu zerschlagen ist zwar effektvoll aber falsch. Richtig wäre, die verschiedenen Enden aufspüren, den Knoten aus Eigenheiten auseinandermachen. Und dann doch diese Zweideutigkeit nicht vertuschen: Eine Beziehung, soll sie bleiben, ist eine Verbindung. Nur ein entwirrter Knoten weiß, wen er zu binden hat.

Knoten spielen für das Schaffen der Goldschmiedin Martina Tornow eine wichtige Rolle. Für sie ist "Knoten" — ebenso programmatisch wie auch gestalterisch — das "Symbol der Zwischenmenschlichkeit", wobei ich das "Zwischen" für wesentlich halte. Während ein Ring eine runde Sache ist ohne Anfang und Ende, symbolisieren in der Formensprache Martina Tornows die Knoten eher als Symbiose je eigener Charaktere in Paarverbindungen — zusammengehalten durch etwas Drittes. Die "offenen Ringe" hingegen lassen mich an Weg und Ausweg denken.

Andrea Güthges Thema ist — ein Tribut an den Ort der Ausstellung hier — Wasser, das Fließende schlechthin. Das Foto, das mich zum Thema regelrecht hinfließen läßt, zeigt ein recht geordnetes Gewirr aus kupferroten Kupferrohren. Soll ich Knäuel sagen? Schlingschlangkabel auf dem Weg zum Knoten? Meine erste Reaktion war: Sieht fast aus wie der Stadtplan von Chicago. Naja, fast. Klar erkennbar ist jedenfalls der zentrale Loop, das ist jener Teil dieser Welthauptstadt der Migration der letzten zwei Jahrhunderte, wo alle Einwanderer zuerst landeten, um sich dann in die einzelnen ethnischen Quartiere zu verteilen.

© Heinz Schilling 2011




Benutzte und nützliche Literatur:

Jean-Claude Kaufmann:

Mary Douglas:

Mario Gmür:

Jörg R. Bergmann:

Ronald D. Laing:

Zu wissen:
Das Waschwerk Hanau ist eine Einrichtung des Vereins LebensGestaltung. Hier werden Dienstleistungen um Bereich Waschen-Bügeln-Mangeln und mehr angeboten. Durch die Nutzung der Dienstleistung kann man ein gemeinnütziges Arbeitsprojekt unterstützen, das den Klienten Tagesstruktur und Beschäftigung gibt. Die alte Herrenmühle ist ein Industriedenkmal Hessens, das oft in seiner Geschichte seine Funktion verändert hat. In jüngster Zeit haben sich auch mehrere Betriebe junger Kreativer hier angesiedelt. Architektonische Besonderheit: Durch das Waschwerk-Gebäude fließt die Kinzig, die kurz darauf in den Main mündet. Während der Ausstellung war das Haus seiner eigentlichen Funktion als Wäscherei entbunden und wurde zum temporären Kulturzentrum.

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