Vorlesung an der Universität Frankfurt im Sommersemester:
Heimat
Die Vorlesung mit diesem schlichten Titel bot Einblicke in eine deutsche Begriffskarriere. "Heimat", einst Rechtstitel, avancierte im 19. Jahrhundert zum Objekt eines territorialen Imperativs ("Liebe deine Heimat"), wurde zunehmend emotionalisiert sowie politisch instrumentalisiert und mißbraucht. Und dann doch - ab Mitte des 20. Jahrhunderts, im sentimentalen Heimatfilm - wieder auf unschuldig geschminkt. In den 1970er Jahren indes wurde in der Kulturanthropologie ein "kritischer" Heimatbegriff zur Diskussion gestellt - dies auch im Kontext einer demokratischen Partizipation an der Umweltgestaltung. Heute kennzeichnet die Re-Romantisierung von Heimatbildern (Heimat-Hype der Medien, Wohlfühlmagazine) die Situation.
Die Vorlesung begann mit einem aktuellen Beispiel, einer Parade von 13 regionalen Titelbildern des "Spiegel" vom 2. April 2012. Dabei gab es - gleichzeitig - für Leser in Frankfurt ein anderes Cover als für die in München, Hamburg oder Berlin. Funktionsästhetisch gehörten alle Bildmotive zur Nationalikonografie, d.h.: es handelte sich um Stereotypen die man einem deutschen Publikum nicht erklären mußte. Die Titelbilder annoncierten die These des Magazins, daß die Vorstellung von "Heimat" traditionell regionalisiert ist. Ferner, daß "Region" ein ebenso plausibles wie relevantes Orientierungskriterium für Leser darstellt. Und: daß "Heimat" interpersonal heterogen ist. Editorisch also ein Kniff des Nachrichtenmagazins, Käufer aus einer jeweiligen Region mit Bildern ihrer Nähe zu gewinnen. Kulturanthropologisch gedacht ein Spiel mit Wir-Mentalitäten und Ich-Identitäten. Das Klischee "Deutschland" enthält offenbar nach wie vor eine Vielfalt an Heimaten. Weil für jeden im Hörsaal H3 eine eigene Vorstellung von Heimat anzunehmen war, sollte für die Vorlesung Distanz je zur "persönlichen" "Füllung" des Heimatbegriffs entwickelt werden. Eine Möglichkeit, Heimat von den Hörern wegzurücken und das Thema auf einer abstrakten Ebene zu betrachten war, das gedachte Wort "Heimat" in Anführungszeichen zu sprechen.
Die Vorlesung fand im Rahmen der Universität des 3. Lebensalters (U3L) statt, war jedoch keineswegs auf diesen Hörerkreis beschränkt.